Kindesmissbrauch

Lebensgeschichten

 

 

 

Mein verdammter Weg

 

 

 

Er ließ einige Winde los. »Na, graust dir schon?«, fragte er. Ja, mir graute, aber was hätte ich sagen sollen? Er war ja mein Vater. Ich hasste es, neben ihm im Bett zu liegen, sowohl wenn er den lustigen Familienvater mimte, als auch wenn er mich missbrauchte. Ich grinste ihn an. Ich tat alles, um den schönen Schein einer glücklichen Familie zu wahren. Deshalb grinste ich. Tief in mir drinnen entstand eine weitere Wunde, ohne dass ich es spürte. Aber die Angst spürte ich inzwischen schon. Diese Angst war schrecklich.

Todesängste wären angenehmer gewesen.

Ich wusste, was gleich wieder passieren würde, ich wusste es und konnte nichts tun. Ich war wehrlos. Beschissen wehrlos. Zehn Jahre alt. Ich war erst 10 und war demjenigen wehrlos ausgesetzt, der mich hätte beschützen sollen. Und dann ging das Verbrechen los, von dem ich noch nicht wusste, dass es eine Straftat ist. Ich wusste nur, dass es manchmal wehtat und deshalb hatte ich auch Angst.

Warum ich überhaupt anfange, hier zu erzählen, wo der sexuelle Missbrauch doch schon vor sieben Jahren begann? Weil ich mit zehn Jahren das Gefühl bekam, dass Papas Art der Liebe falsch war und zu diesem Zeitpunkt wurde mir auch der Satz »Bitte, sag nichts der Mutti« suspekt. Außerdem begannen nun meine Selbstmordgedanken. Sie nahmen meine Gehirnwindungen in Angriff und nisteten sich ein wie die ärgsten Parasiten. Ich wurde sie nicht mehr los. Und heute?

 

 

 

Ich würde gern sagen, dass sich mein Leben völlig verändert hat,

 

dass ich eine glückliche Beziehung zu einem einfühlsamen Mann habe und dass ich das Leben liebe und genieße, aber dem ist leider nicht so. Dass liegt vielleicht auch daran, dass ich ein ewiger Pessimist bin, aber das Leben liebe ich nicht wirklich. Genuss verbiete ich mir und die Selbstmordgedanken sitzen noch immer gemütlich in meinen Gehirnwindungen.

 

Drei weitere Jahre vergingen schließlich. Der Missbrauch dauerte weiter an. Plötzlich wurde ich zur Frau. Die Brust wuchs, mein Becken wurde weiblicher und, wie sollte es anders sein, meine Periode setzte ein. Während ich hier nun schreibe, wird mir bewusst, dass zu diesem Zeitpunkt mein Vater anfing, ein bisschen, über meine weiblichen Züge zu lästern. Ich war aber nicht dick, im Gegenteil. Ich hatte eine super Figur – weiblich und doch athletisch. Ein Traumkörper. Aber irgendwas schien Papa nicht zu gefallen und er machte Andeutungen wie: »Du hast ein bisserl ein Baucherl.« Auf diese Aussage hin, begann ich mich fett zu fühlen. Ich wusste, ich war nicht dick, aber ich hatte immer schon eine labile Psyche und man konnte mir leicht etwas einreden.

Außerdem hörte er auf mich zu missbrauchen. Für mich war das wie Liebesentzug. Ich kannte ja keine andere Art der Zuneigung von ihm. Ich fühlte mich nicht mehr von meinem Vater geliebt. Ich dachte zu dieser Zeit, ich wäre nutzlos.

 

Papa war – obwohl er mir so oft Anlass zur Angst gab – der wichtigste Mensch in meinem Leben. Damals konnte ich noch nicht wissen, was der eigentliche Grund für seine bösen Aussagen und seinen Liebesentzug war. Heute weiß ich es. Und ich verstehe es auch. Zum einen hing das Ganze damit zusammen, dass mein Vater pädophil ist und zum anderen hatte er wahrscheinlich Angst, mich zu schwängern.

 

 

 

 

Langsam wandte ich mich von Papa ab und ich wurde einsam

 

Nicht nach außen, denn ich war kein Gefühlsmensch. Ich schluckte alles hinunter. Aber in meinem Innersten war ich ganz allein. Und es wurde leer und dunkel in mir. Naja, eigentlich wurde ich nicht leer, sondern voll. So voll, dass ich fast platzte, weil ich alle Probleme in mich reinfraß. Nach etwa einem Jahr, also mit 14, wurde ich so voll, dass ich täglich dicker wurde. Zumindest für mich.

In meinem Gehirn hatte sich nämlich ein Schalter umgelegt und ich konnte mich nur als fett empfinden. Für die anderen aber, die, die richtig empfanden, wurde ich dünner und dünner. Plötzlich war ich so schmal, dass ich sehr schwach wurde. Meine Konzentration ließ nach und ich war nur mehr depressiv. Ich hatte zu nichts mehr Lust, außer zum Hungern. Das war mein Hobby geworden.

Meiner Mutter bereitete ich schon die größten Sorgen, meine Schwester konnte die Welt nicht mehr verstehen und meine Mitschüler versuchten, mir das Essen in den Mund zu stopfen. Doch Papa beachtete mich immer noch nicht mehr. Seine Beachtung wurde sogar noch weniger.

 

 

 

anonym

 

 

 

 

 

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