War
Jesus ein Exorzist, und sollen die Christen es ihm nachmachen? Im
DS-Interview begründet der Heidelberger Theologe seine umstrittenen
Empfehlungen. Außerdem beleuchten wir die Haltung der evangelischen
und katholischen Kirche zur Teufelsaustreibung.
Herr Professor
Berger, kann Exorzismus, die Austreibung von Teufel und Dämonen, heute
noch eine akzeptable Methode der Seelsorge sein?
Berger:
Das hängt davon ab, in welchem Kulturhorizont die Menschen existieren.
Es gibt Gegenden in Deutschland, die einige Jahrhunderte nachhinken -
etwa einige Gegenden in Oberfranken, wo es vor Jahren einen schlimmen
Fall von Exorzismus gab. Auch in einigen norddeutschen Gegenden sind
noch böse Geister zu Hause. Wenn Menschen solche Vermutungen hegen,
sprechen sie möglicherweise auf Exorzismus an.
In Ihrem Buch "Wozu
ist der Teufel da?" bezeichnen Sie das Wort als die wichtigste Waffe
gegen das Böse. Und kritisieren, dass Segnen, Fluchen, Beschwören,
Lobpreisen und Austreiben aus dem kirchlichen Repertoire weitgehend
verschwunden sind. Kann die Kirche zu Formen zurückkehren, die in
unserer Kultur kaum mehr verstanden werden?
Berger:
Den Kulturhintergrund zu beachten ist bei Exorzismen und ähnlichen
Dingen wichtig. Womit die Kirche weiterhin verstanden wird und was sie
gewissermaßen aggressiv unter die Leute bringen sollte, sind Segnen,
Beten, Singen und Segensformeln. Hätte ich meine Kirche gegenüber dem
Saal einer NPD- Versammlung, ich würde mich nicht scheuen, unter
anderem in einem parallelen Gottesdienst den Ungeist anzufahren im
Namen dessen, "der schreitet auf den Flügeln der Winde, der die Stürme
zu seinen Boten macht und seinen Dienern flammendes Feuer": Entferne
dich von diesen Geschöpfen.
Gerade im Zeitalter der Esoterik verstehen die Menschen das, weil sie
es sich ja auf neuheidnische Weise außerhalb besorgen. Dabei geht es
um die Dimensionen der Sprache. Unsere Sprache ist nur noch
beschreibend und nicht mehr wirklichkeitssetzend. Doch es gibt einen
Unterschied zwischen Segnen und Singen und einer bürokratischen
Sprache. Beten und Singen haben eine sehr tiefe Bedeutung für die
Seele des Menschen.
Keine Einwände,
soweit es um Singen und Beten geht. Doch Sie wollen den Teufel beim
Namen nennen. Was aber hilft den Menschen die Vorstellung vom
Leibhaftigen, wenn es eigentlich darum gehen müsste, Zusammenhänge zu
verstehen?
Berger:
Wenn ich von Teufel und Dämonen rede, geht es primär um moralische
Verkommenheit und kollektive Süchte, um Ideologien, um Vorurteile, die
die Leute massenhaft besetzt halten, nicht um Heilung psychischer
Krankheiten. Die biblische Rede vom Teufel ist deshalb wichtig, weil
es Erfahrungen des Bösen gibt, die so intensiv sind, dass wir sie in
unserer Sprache nur mit quasi personenhaften Kategorien beantworten
können. Hier wirkt etwas so faszinierend, schillernd, verführerisch,
überwältigend und heimtückisch zugleich, dass es für uns quasi eine
personenhafte Größe darstellt, eine Verführung.
»Das Böse ist dort am
intensivsten, wo es sich um Mord an Unschuldigen handelt«
In Ihrem Buch
sprechen Sie von "Kindern des Teufels". Und meinen Mörder und
Sexualverbrecher. Welchen Sinn hat eine solche Redeweise, außer den,
Menschen lebenslang zu stigmatisieren?
Berger:
Die Bibel selber redet so, und es geht mir nicht darum, persönlich
irgendwelche Menschen so anzureden. Vielmehr geht es etwa da- rum, die
Aussage im Johannesevangelium, Kapitel 8 zu erklären, wo die Juden als
Kinder des Teufels bezeichnet werden, und zwar deshalb, weil sie Jesus
heimtückisch umbringen wollten. Vor diesem Text sollte man sich nicht
drücken, wie es die meisten Theologen tun. Denen ist dieser Text
wirklich peinlich.
Weil er die Basis
dafür bot, Juden zu brandmarken und zu verfolgen - ein
verhängnisvoller Text, der letztlich viel Hass säte.
Berger:
Der Text enthält die Erfahrung, dass das Böse und das Heimtückische
dort am intensivsten, am entsetzlichsten sind, wo es sich um Mord an
unschuldigen Menschen handelt. Dann würde ich auch heute noch sagen:
Dieses ist teuflisch. Wenn die Rede vom Teuflischen einen Sinn hat,
dann hier. Aber ich würde nie zu einem Menschen sagen, er sei ein Sohn
oder eine Tochter des Teufels.
Die Vorstellung vom
Bösen, vom Teufel macht vielen Menschen Angst, und die Kirche hat sie
in der Geschichte benutzt, um Angst zu schüren und Menschen unter
Druck zu setzen. Darum haben die meisten Theologen den Teufel
verbannt. Wird mit dem Teufel nicht automatisch auch die Angst vor ihm
wieder belebt?
Berger:
Die Menschen haben Teufel und Hölle verbannt, weil sie nicht
beunruhigt werden möchten, weil sie keinen Spiegel vorgehalten
bekommen möchten und dazu neigen, die dunkle Hälfte der Wirklichkeit
abzudrängen. Die Bibel aber benennt das namenlos Böse offen und
ehrlich mit einem Namen. Doch sie bleibt dabei nicht stehen: Es gibt
keine selbständige Satanologie. Vielmehr baut die Bibel den Teufel in
ein Drama ein, in dem er immer besiegt wird. Es geht gerade nicht um
eine Rückkehr von Ängsten, sondern um eine Unterdrückung der Ängste.
Diese Ängste sollten ausgesprochen werden, eine Gestalt bekommen,
damit man sie angehen kann und vor allen Dingen damit klar wird, dass
das Teuflische am Ende besiegt werden muss. Das ist die Perspektive.
Statt seelische
Konflikte als ein innerpsychisches Geschehen aufzufassen, kommt mit
dem Teufel eine Macht von außen ins Spiel. Was ist mit dieser
Vorstellung gewonnen?
Berger:
Die primäre Diagnose unserer Zeit lautet, dass die Menschen keinen
Sinn finden, dass sie ihre Mitte verloren haben. Die Rede vom Teufel
hat den Sinn, dass diese Nöte des Menschen nicht diffus bleiben. Sie
sind nicht nur ein individuelles Problem. Vor allem besagt sie: Hier
ist etwas, das nicht untrennbar mit meiner Biographie verschmolzen
ist, etwas, von dem ich befreit werden kann. Den Ort für diese
Trennung vom Bösen hat die Kirche seit alters her in der Taufe
gesehen. Dort gibt es die Absage an den Satan, die ich bei einer
Erwachsenentaufe sinnvoll finde. Entwürfe in neueren Agenden erinnern
ganz und gar an die alten Exorzismusformeln. Es ist wie eine
Krebsoperation. Das, was man das Teuflische nennt, ist wie psychischer
Krebs. Es nährt sich von uns, hat unser Blut, spricht unsere Sprache
und ist doch etwas, von dem wir befreit werden können.
»Eine sehr strenge
Bindung an Jesus kann Menschengesunden lassen«
Doch birgt das
Einführen des Teufels unweigerlich die Gefahr, dass Menschen von sich
selber glauben, sie seien vom Teufel besessen - oder schlimmer, dass
sie andere dessen beschuldigen.
Berger:
Diese Erfahrung besteht. In der evangelischen Kirche beschäftigt sich
der "Befreiungsdienst" mit dem Kampf gegen Dämonen, bei den Katholiken
tun dies Exorzisten, wobei der Befreiungsdienst heute wesentlich
ausgeprägter ist als Exorzisten bei den Katholiken. Der
Befreiungsdienst besteht aus einem Kreis von mindestens 30 Pfarrern in
Süddeutschland, die im Nebenberuf Exorzisten sind. Sie berichten
regelmäßig, dass der Widerstand, die Krankheit, zunächst wächst. Wenn
der Widerstand bei den Kranken nur größer wird, sollte man das
Unternehmen abbrechen.
Trotz solcher
Bedenken sagen Sie, dass Jesus sich ganz wesentlich als "Exorzisten"
verstand. Ist dieser Titel nicht ein für alle Mal durch Missbrauch
verdorben?
Berger:
Im evangelikalen Bereich gibt es Erfahrungen, die man positiv werten
könnte. Sie zeigen auch im Nachhinein etwas über den Sinn der
Exorzismen nach den Evangelien. Es gibt ja Menschen, die zerfallende
Persönlichkeiten haben, deren Ich nicht stark genug ist, wie man als
Laie sagen würde. In den frühchristlichen Exorzismen wird Jesus
ersatzweise diese Autorität. Daher befiehlt er streng und verbindlich
als der Herr. Im evangelikalen Bereich lässt sich diese Erfahrung bei
geeigneten Menschen auch heute noch nachvollziehen. Eine sehr strenge
Bindung an Jesus als den Herrn kann Menschen durchaus psychisch und
menschlich gesunden lassen.
Damit erhält der
Exorzist eine große, unkontrollierte Macht über Menschen.
Berger:
Erstens sind die Texte, die wir als Exorzismustexte zur Verfügung
haben, gefüllt mit biblischen Erinnerungen, so dass es nicht um die
Macht des Exorzisten geht, sondern um die Macht Gottes. Zweitens ist
der Rat moderner Seelsorger, die auf diesem Gebiet tätig sind, sehr
ernst zu nehmen, dass man die Menschen nicht beschwören, nicht
konfrontieren soll, sondern ihnen konpraekativ - das heißt: gemeinsam
betend - begegnen soll. Gemeinsames Gebet würde ich als angemessenste
Form betrachten und nicht ein Anschnauzen als Kind des Teufels.
Sie kritisieren eine
Kirche, die die dunkle Seite ausblendet und sich nur
diakonisch-therapeutisch versteht. Damit, so sagen Sie, überlasse sie
der rechten Szene und den Satanisten Blut- und Gewaltthemen. Ist es
Aufgabe der Kirche, diese Themen zu besetzen?
Berger:
Wir leben in einer Kirche, die das Christentum im Wesentlichen auf
Vernunft und Moral reduziert. Sie erwartet etwa von einem Täufling
nicht mehr, als dass er ein anständiger Mensch wird, ausgestattet mit
bestimmten Tugenden. Diese Sicht der Dinge schneidet die Hälfte der
Wirklichkeit ab und benennt nicht mehr die Bedrohungen, die den
Menschen von der Finsternis her heimsuchen, die Ängste, die
Rachephantasien. All das wird unter den Tisch gekehrt. Wir tun so, als
lebten wir in einem Rahmen, den man nur noch korrekt ausfüllen muss,
wie blaue Ameisen. Wenn die Erfahrungen mit der Nachtseite des Daseins
in der Kirche nicht mehr vorkommen, machen sie sich außerhalb wieder
Luft, in Satanskulten. Die Menschen suchen im Zusammenhang mit
Religion den Schauder, weil sie darin das Schauderhafte der eigenen
Seele wieder erkennen. Wenn man das reduziert, bleibt nur das
Menschenbild eines auf moralisches Wohlverhalten dressierten Menschen.
Das kann auf die Dauer nicht gut gehen.
»Wenn es ganz schlimm
ist, muss man bösen Geistern befehlen«
Würden Sie einem
Menschen, der in einer seelischen Krise steckt, raten, einen Pfarrer
aufzusuchen?
Berger:
Man muss unterscheiden zwischen offen erkennbarer psychischer
Krankheit und seelischer Lebenskrise. Bei auch für Laien erkennbaren
Krankheitsanzeichen ist der Nervenarzt zuständig. In seelischen Krisen
würde ich nur einen besonders geeigneten Pfarrer aufsuchen, möglichst
keinen Hobby-Psychologen. Im Übrigen denke ich, dass seelische Leiden
des Menschen heute eine interdisziplinäre Angelegenheit sind, die eine
Disziplin allein nicht bewältigen kann.
Pfarrer sind
Fachleute für Seelsorge. Welche Heilmittel stehen ihnen zur Verfügung?
Berger:
Zunächst kann der Pfarrer den Kinderglauben in Frage stellen, die
Psychologie könne den Menschen erlösen. Erlösung von Schuld, von
Todesangst bleibt das Feld der Religion. Für den Pfarrer geht es
darum, Menschen bei der Befreiung von Schuld und Angst zu helfen.
Hingegen bewegen wir Theologen uns nicht speziell im Bereich der
psychischen Krankheiten. Grundsätzlich gilt aber die Regel, dass
derjenige Recht hat, der im Ganzen und auf Dauer hilft.
An welche Mittel
denken Sie?
Berger:
Die Mittel des Theologen sind Sprache und Zeichen. In der Sprache geht
es um Beten und Singen. Die Zeichen beziehen sich auf die Sakramente
und all das, was die Katholiken unter Sakramentalien - also
Kreuzzeichen, Salbung mit Öl, Weihe von Kräutern, Reinigung mit
geweihtem Wasser - verstehen. Jesus sagt, dass man beten und fasten
soll. Wenn es ganz schlimm ist, muss man bösen Geistern befehlen. Das
nennt man dann Exorzismus.
Die Fragen stellte
Hedwig Gafga |