"Kein Mensch will
glauben, dass diese Dinge wirklich geschehen"
Steffis Stimme zittert. "Man stirbt,
wenn man spricht. Es wird einem solche Angst gemacht. Man glaubt, dass
der Teufel einen holen wird", sagte die junge Frau im Januar in einer
ZDF-Reportage über organisierte Ritualmorde im satanistischen Umfeld.
Steffi ist genauso ein Opfer ritueller Gewalt wie Marie, die in der
Sendung mit ärztlichen Attesten schwerste körperliche Verletzungen aus
ihrer Kindheit nachwies. Die Kasseler Psychotherapeutin Michaela Huber
arbeitet seit vielen Jahren mit Frauen wie Steffi und Marie.
Immer mehr brechen ihr Schweigegebot
"Kein Mensch will glauben, dass diese
Dinge wirklich geschehen", sagt sie. Doch inzwischen fänden sich immer
mehr Überlebende, die ihr Schweigegebot brechen und Hilfe suchen. Was
vor Jahren noch extreme Einzelfälle zu sein schienen, gehöre
inzwischen in traumatherapeutischen Praxen und Kliniken sowie in
Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt zum harten Alltag. Bei einer
Umfrage unter 300 ausgewählten Einrichtungen wurden laut Huber 354
Fälle detailliert geschildert.
Der
Weltanschauungsbeauftragte in der hannoverschen Landeskirche, Ingolf
Christiansen aus Göttingen, sagt, dass die Verbindung von Satanismus
und sexueller Gewalt seit einiger Zeit Besorgnis erregend zunehme.
Während er früher einen Fall pro Jahr erlebt habe, seien es jetzt bis
zu 20. Konkretere Zahlen gibt es noch nicht. Experten schätzen, dass
nur jeder zehnten Frau der Ausstieg gelingt. Es könnten jedoch viel
mehr werden, wenn man sie in Opfer- und Zeugenschutzprogramme aufnehme
und ihnen die Kronzeugenregelung ermöglichte.
Einig
sind sich die Fachleute auch darin, dass der okkulte Rahmen die Opfer
einschüchtern und ihr Selbstwertgefühl zerstören soll. Tatsächlich
gehe es den Tätern aber um das knallharte Geschäft von Prostitution
und Pornografie. "Gewalttätige Gruppen aus der organisierten
Kriminalität verstecken sich hinter pseudo-religiösem Brimborium",
betont Huber. Die Gewinn bringende Produktion von Porno- und
Snuff-Videos, in denen reale Folter gefilmt werde, sei der eigentliche
Zweck der Rituale.
Die
Opfer werden körperlich, sexuell und psychisch schwer misshandelt und
gefügig gemacht. "Die Ersttäter kommen fast immer aus dem Familien-
oder Freundeskreis und reichen ihre Opfer dann weiter", sagt Huber.
Die Frauen und Kinder würden regelrecht abgerichtet und manchmal
selbst zu Tätern gemacht. "Ihr Urvertrauen wird systematisch
zerstört", bestätigt Christiansen, der häufig als Gutachter bei
Strafverfahren mit okkultem Hintergrund tätig ist: "Es wird ihnen
suggeriert, dass noch nicht einmal Gott ihnen ihre Sünden vergeben
wird."
Wahrnehmung verzerrt sich
Die Frauen, die es schaffen, aus diesem
Teufelskreis auszubrechen, sind Huber zufolge oft selbst die größten
Skeptiker ihrer Erinnerungen: "Die Wahrnehmungen eines Menschen, der
gefoltert, verwirrt, unter Drogen gesetzt und terrorisiert wurde,
müssen verzerrt sein." Manche Opfer hätten charakteristische
Folternarben am Rücken oder an den Handgelenken. Dies gelte besonders
für ältere Überlebende: "Einige sind von Narben übersät, ihre Knochen
wurden viele Male gebrochen, im Genitalbereich sind sie extrem
verstümmelt."
Beim
Erinnern gerieten sie in starke Schmerzzustände, schwere Depressionen
und massive Ängste, weiß auch Ursula Scheele vom Bundesverband
Autonomer Frauennotrufe in Kiel. Die Lebensberaterin arbeitet seit 14
Jahren mit derartig traumatisierten Frauen. Ihre Geschichten seien
real und beweisbar und oft von einer Detailgenauigkeit, die sich
niemand ausdenken könne: "Die Frauen schildern Szenen, die man bei
jedem Spielfilm schnell wegzappen würde."
Die
Psychotherapien mit Menschen, die so gequält und gefoltert wurden,
brauchen sehr viel Zeit und Geduld, betont Huber: "Nur wer die Chance
bekommt, seine Erinnerungen wirklich zu verarbeiten und in seine
Biografie zu integrieren, kann ein Leben ohne quälende Schmerzen und
ständige Bedrohungsgefühle führen."
Die
ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Rennebach aus Berlin
gründet zurzeit eine Stiftung für Überlebende ritueller Gewalt. Als
Sektenbeauftragte ihrer Fraktion beschäftigt sie sich seit Jahren mit
dem Thema: "Es besteht akuter Handlungsbedarf", sagt die engagierte
Christin, die Aussteigerinnen selbst betreut: "Viele erhalten keine
Hilfe, weil kaum jemand diese Gräueltaten glauben will."
Internet fördert Okkultismus
Okkultes breitet sich Sektenexperten
zufolge durch das Internet immer stärker in der Gesellschaft aus. "Vor
allem junge Menschen laden sich die angebotenen Rituale herunter -
etwa, wie man missliebige Kollegen verflucht oder Kontakt mit
Verstorbenen aufnimmt", sagt der Beauftragte der bayerischen
evangelischen Landeskirche für religiöse Strömungen, Bernhard Wolf.
Die
Foren für Okkultismus, Satanismus und magische Rituale hätten sich im
zurück liegenden Jahr stark vermehrt, so der Okkultismusexperte.
Gerade von jungen Menschen würden die Gefahren, die im Internet
lauern, häufig krass unterschätzt. Wer sich solcher Praktiken bediene,
lande nicht selten in der Psychiatrie. Als besondere
Schwerpunktregionen für den Okkultismus nannte Wolf die Bundesländer
Sachsen und Thüringen.
Quelle: Epd.
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